Gestern während eines interkulturellen Trainings bemerkte ich, dass die Teilnehmenden Schwierigkeiten hatten, ihre Beobachtungsfähigkeiten auszubauen. Ich bat sie, mit mir nach draußen zu kommen, wo Gras wuchs. Dort sollten sie mindestens 15 Minuten lang in Stille sitzen und das Verhalten von drei verschiedenen Insekten beobachten.
Was danach geschah, war erstaunlich.
Dreizehn Menschen – aus unterschiedlichen beruflichen Hintergründen – saßen verteilt in kleinen Gruppen und schauten konzentriert auf das, was unter ihnen lebte. Als wir zurück ins Plenum gingen, veränderte sich unser Gespräch: Weg von Theorien, hin zu echten, tiefen Einsichten. Wir begannen darüber zu sprechen, was wir von Insekten lernen können – über Kommunikation, Führung, Resilienz und Zusammenarbeit – insbesondere im interkulturellen Kontext, sowohl online als auch offline.
👁️🗨️ Die Kunst des Beobachtens neu entdecken
In einer Welt, die auf Produktivität, Geschwindigkeit und Zahlen fixiert ist, vergessen wir oft die einfache Fähigkeit des achtsamen Beobachtens. Beobachten ist kein passiver Akt – es ist der Zugang zu Empathie, Mustererkennung und tiefem Verständnis.
Und das Faszinierende: Insekten leben uns diese Fähigkeiten ganz selbstverständlich vor – ohne Ego, Status oder Angst, missverstanden zu werden.
🐜 Was wir von Insekten für unsere zwischenmenschlichen Kompetenzen lernen können
Hier einige der Beobachtungen, die wir gemacht haben – und was sie für die interkulturelle Zusammenarbeit bedeuten:
1. Kommunikation ohne Worte
Ameisen nutzen Duftstoffe (Pheromone), Bienen tanzen, Zikaden stimmen sich klanglich ab.
→ Lektion: Bedeutungsvolle Kommunikation muss nicht immer sprachlich sein. Gestik, Mimik, Tonfall – all das sind essenzielle Elemente, gerade in multilingualen oder interkulturellen Teams.
2. Rollenverteilung und Akzeptanz
Insekten kennen ihre Rolle im Kollektiv – und erfüllen sie ohne Konkurrenzdenken.
→ Lektion: In einem funktionierenden Team zählt nicht Titel, sondern Beitrag. Jede*r bringt etwas Wertvolles ein.
3. Kollektive Intelligenz
Bienenschwärme oder Heuschrecken treffen Entscheidungen gemeinsam.
→ Lektion: Geteilte Führung und Mitbestimmung stärken Vertrauen. Nicht jede Entscheidung muss von oben kommen.
4. Anpassungsfähigkeit
Insekten reagieren schnell auf Umweltveränderungen.
→ Lektion: Kulturelle Sensibilität heißt, feinfühlig zu beobachten – auf Körpersprache, Stimmung oder unausgesprochene Regeln.
5. Gemeinschaft über Ego
Termiten bauen gemeinsam, verteidigen gemeinsam, versorgen sich gegenseitig.
→ Lektion: Erfolgreiche interkulturelle Arbeit bedeutet, das Gemeinwohl über das eigene Ego zu stellen.
6. Effizienz & Timing
Jeder Schritt eines Insekts hat einen Zweck – keine Energie wird verschwendet.
→ Lektion: Auch in Teams sollten wir achtsamer mit Sprache, Zeit und Aufmerksamkeit umgehen.
7. Resilienz
Viele Insekten überleben extreme Bedingungen oder regenerieren sich.
→ Lektion: Interkulturelle Prozesse können herausfordernd sein. Resilienz hilft, dran zu bleiben und flexibel zu bleiben.
8. Hygiene & Raumgestaltung
Ameisen und Bienen halten ihre Umgebung sauber und geordnet.
→ Lektion: Kulturelle Hygiene heißt, emotionale und soziale Räume so zu gestalten, dass sie sicher und wertschätzend sind.
🌍 Warum gerade diese Kompetenzen heute entscheidend sind
In hybriden Arbeitsmodellen, globalen Teams und digitalen Netzwerken reichen klassische „Hard Skills“ nicht mehr aus. Es braucht:
- Beobachtung vor Handlung
- Hören mit allen Sinnen
- Anpassung ohne Selbstverleugnung
- Respekt vor Vielfalt in Rollen und Rhythmen
Diese sogenannten Soft Skills sind in Wirklichkeit essenzielle Zukunftskompetenzen – gerade in der interkulturellen Zusammenarbeit.
🌱 Reflexion zum Abschluss
Wenn du das nächste Mal in einer kulturell herausfordernden Situation bist: Geh nach draußen. Setz dich still hin. Schau auf den Boden.
Vielleicht lernst du von den Kleinsten die größten Lektionen.