Kulturelle Intelligenz ≠ weißer Komfort
Viel zu häufig geht es nicht um Gerechtigkeit, sondern um Komfort.
Und zwar um den Komfort der dominanten Gruppe.
Wenn Vielfalt zur Beruhigung dient
In vielen interkulturellen Trainings liegt der Fokus nicht darauf, wie strukturelle Ungleichheit abgebaut werden kann.
Sondern darauf, wie Spannungen harmonisiert, Konflikte entschärft und die „gute Atmosphäre“ bewahrt werden kann.
🔸 Schwarze Stimmen werden gebeten, „konstruktiv“ zu bleiben.
🔸 Rassismuserfahrungen sollen „nicht spalten“.
🔸 Emotionen werden als „zu radikal“ oder „nicht hilfreich“ bewertet.
Am Ende geht es selten um Transformation – sondern darum, dass sich weiße Teilnehmende nicht unwohl fühlen.
Echte interkulturelle Kompetenz heißt: Macht benennen.
Kultur ist nie neutral.
Sie ist verwoben mit Geschichte, Kolonialismus, Patriarchat und Klassismus.
Wer über kulturelle Unterschiede redet, ohne über Machtverhältnisse zu sprechen, betreibt Entpolitisierung.
Echte kulturelle Intelligenz bedeutet:
- Die eigenen privilegierten Positionen zu erkennen
- Ungleichheit nicht zu personalisieren, sondern zu kontextualisieren
- Die Bereitschaft, Fehler zu machen UND Verantwortung zu übernehmen
- Strukturen zu hinterfragen – nicht nur Verhalten zu optimieren
Was in vielen Trainings fehlt
Die meisten interkulturellen Programme in Deutschland orientieren sich an einem Modell der Verständigung durch Anpassung, oft auf Kosten derjenigen, die ohnehin schon Marginalisierung erleben.
Was fehlt, ist:
- Kritisches Weißsein als Bestandteil von Kultur
- Die Auseinandersetzung mit institutioneller Diskriminierung
- Raum für Betroffene, ohne Erwartung von Didaktik oder Dankbarkeit
- Ein Verständnis davon, dass kulturelle Differenz nicht das Problem ist, sondern ungleiche Machtverteilung.
Von Komfort zu Konfrontation
Ein echtes Commitment zu interkultureller Kompetenz bedeutet, Räume zu schaffen, die nicht harmonisieren, sondern herausfordern.
Die nicht immer angenehm sind.
Die nicht um Konsens kreisen, sondern um Integrität und Gerechtigkeit.
Es geht nicht darum, Vielfalt bequem zu machen.
Es geht darum, Gerechtigkeit möglich zu machen.
Fragen zur Selbstreflexion
- Für wen soll diese interkulturelle Kompetenz „angenehm“ sein?
- Welche Stimmen werden gehört – und welche als „zu laut“ gelesen?
- Wird das Ziel eines Trainings sein, mehr Diversität – oder weniger Spannung?
Kulturelle Intelligenz, die nur darauf abzielt, Verständigung zu fördern, ohne Verantwortung zu übernehmen, bleibt oberflächlich.
Sie beruhigt das System – anstatt es zu verändern.
Wenn wir wirklich interkulturell kompetent sein wollen, müssen wir lernen, Unbequemes auszuhalten, Macht zu dezentrieren – und Verletzlichkeit nicht nur von den Marginalisierten zu verlangen.